X-Tole über Takt

Schwierige oder kniffelige Probleme, Feinheiten des Notensatzes etc.
musicara
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Beitrag von musicara »

Hallo, ich will mich in diesen ganzen X-Tolen-Schwachsinn überhaupt nicht einmischen, auch darum nicht, weil ich tiefes Mitleid für alle heutigen Komponisten fühle. Müssen sie es doch genau so machen wie bspw. Regisseure von Opern - immer etwas Neues bieten - ach Mist, das gab es ja schon, hm, was lass ich mir jetzt mal einfallen? Dann kommt es zu solchen Unsäglichkeiten wie im Berliner Idomeneo, 3 Herren kriegen die Köpfe abgeschlagen, die mit der Handlung gar nix zu tun haben, die zum Zeitpunkt der Handlung noch nicht einmal lebten. "Was, Du wagst es daran zu kritteln? Banause!"
Manchmal halte ich in kleinen Kreisen Vorträge zu Wagner, ich sag dann immer: wenn Ihnen die Bühne nicht gefällt - Augen zu, Musik anhören, die ist meist unangetastet. Das bedeutet - übertragen auf manche "Neutöner": Ist die Musik auch noch so verquast, vielleicht ist das Ensemble (in Teilen) ansehnlich, oder der Saal ist schön oder draußen regnets grade.
Zu Tausig möchte ich nur noch sagen, dass sein Bach-Beispiel natürlich genial das damalige Bach-Feeling trifft. Das weiß ich, weil ich verschiedene Origalaufnahmen verglichen habe. :P
musicara
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Tausig
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Beitrag von Tausig »

Ich hatte mich gerade erweichen lassen, ein Werk zu spielen, in dem ich Gummibälle auf die Saiten zu schmeißen, mit einer Bürste über die Saiten zu wischen und irgendetwas irgendwie zu spielen gehabt hätte, das die mehr oder weniger grafische Notation des weltbewegenden Komponisten mir nicht eindeutig entschlüsselt. Ich hatte mich schon fast drauf gefreut, denn es wäre Gelegenheit gewesen, diesen Unsinn mit dezenten Mitteln zu persiflieren: Ich hätte mir von Steinway eine Klobürste besorgt, von Beate Uhse ein paar Gummibälle und vor der Aufführung dieses bedeutenden Werks eine Einführung dazu gegeben, die die ungeheure Bedeutung von Klobürsten und von Gummiteilen aus Flensburg bewiesen hätte. Es kommt leider nicht dazu; der Bläser, den ich hätte begleiten sollen, hat es von sich aus geschmissen. Schade.
Im Grunde aber gibt es dazu ein erstaunliches Analogon zu Wagner: Der war auch dermaßen was von der eigenen Bedeutung überzeugt, daß er nichts gelten ließ, was ihn angefochten hätte. Was moderne Regisseure aus Wagner machen, ist insofern berechtigt, als sie ihn zu Recht persiflieren. Nicht berechtigt ist es insofern, als er musikalisch von hohem handwerklichem Niveau war. (Obwohl ich Isoldes Liebestod nicht hören kann, ohne zu denken: Wann endlich will die mal zu Potte kommen...)
Aber sie machen's ja nicht nur mit Wagner. Und die Diskussion um den Berliner Mozart beweist vor allem eines: Daß man sich um Künstlerisches den Teufel schert, denn in allen Zeitungen wurde zwar angesprochen, daß die künstlerische Freiheit durch Ideologen nicht beeinträchtigt werden darf, aber in keiner, was der Scheiß mit den abgeschlagenen Köpfen soll...
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musicara
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Beitrag von musicara »

Bevor ich in die Ecke des ewig Gestrigen gestellt werde: Natürlich gibt es für mich auch tolle neue Komponisten. Päärt (östliche Ostsee), Borkowski (Leipzig), Riehm (weiß grad nicht wo) Theodor Ross (Köln) und etliche andere. Allen Gemeinsam ist aber Eines: Niemals werden Musiker zu entwürdigenden Aktionen gezwungen. Und für mich als Pianisten ist es bspw. unwürdig einen Flügel anzustarren, den Deckel auf und zu zu machen und das war dann der Konzertbeitrag. Dieser amerikanische Komponist, der das verlangt, soll meinetwegen auf seinem Klo solange rumeieren wie er will, aber mich kann er gefälligst kreuzweise. Für mich wäre der o. a. Triolenquark auch unwürdig, weil sich mir der Sinn nicht erschließen kann, weder Musiker noch Hörer können das exakt nachvollziehen.
Wagner, lieber Tausig, war eines der wenigen Genies in der Musik. Und er war in seiner Zeit der Größten Einer, auch wenn wir heute zu Recht mit manchem seines Dunstkreises kritisch verfahren müssen. Aber- ein Furz von ihm hatte eine höhere künstlerische Bedeutung als so manches Choralvorspiel von mir, das ist leider so. Und Isolde... lass sie noch ein wenig länger dahinsterben, es klingt so fein und lieblich...
musicaRA.
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Tausig
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Beitrag von Tausig »

"den Deckel auf und zu zu machen und das war dann der Konzertbeitrag. Dieser amerikanische Komponist..." hieß Feer Dryanddrysig (oder hieß er Johannes Käfig?). Ich habe das Stück gerade für 6 Trompeten bearbeitet. "Aber hast du dieses Werk überhaupt schon einmal GEHÖRT? Weißt du wovon du redest? Ich bin der festen Überzeugung, man sollte über Musik, die man nicht gehört hat, auch nicht urteilen", hab ich mal irgendwo in einem Forum gelesen.
"Feer Dryanddrysig" gehört zu jenen Gags, die man sich ausdenken kann, aber die man nicht verwirklichen sollte. Denn kein Publikum kann über einen Witz lachen, der aus 4 1/2 Minuten Langeweile besteht, um zum Schluß zu erfahren, daß diese Langeweile ein Witz sein sollte.
Das Stück ist nur ein Gag, den man nicht allzu verbissen ernst nehmen muß. Gleichzeitig aber steht es als Paradebeispiel für pseudo-intellektuellen Pseudo-Tiefsinn, bei dem der Mangel an Handwerk mit dem Mangel an Witz kompensiert wird.

Mit Isolden hast du auch recht: Zwar würde ich es nicht "fein und lieblich" nennen, aber so wat von genialem Hinauszögern gehört zu den Geniestreichen Wagners.
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musicara
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Beitrag von musicara »

Tausig: hieß Feer Dryanddrysig (oder hieß er Johannes Käfig?).
Nee, nee, der heißt ganz anders und meinte es durchaus ernst. Ich habe dieses Werk als junger Mann mal im Oldenburger Staatstheater gespielt, mich dabei halbtot gegeiert und das Publikum hat's 15! Minuten ernst genommen. Da hab ich mich geschämt und so was nie wieder gemacht.
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